Wie sich Rahel auch in luftiger Höhe sicher fühlt
Um die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu gewährleisten, arbeitet die SUVA mit dem Instrument der «lebenswichtigen Regeln» spezifisch pro Branche. Diese schaffen Klarheit und eine verbindliche Grundlage für alle. Werden diese konsequent umgesetzt, entwickelt sich mit der Zeit eine Selbstverständlichkeit und es können sowohl Kosten für den Betrieb gespart als auch menschliches Leid verhindert werden. Das Credo bei der Umsetzung lautet: Besteht Gefahr, heisst es STOPP, Gefahr beheben und erst dann weiterarbeiten. Eine aktive Kommunikation und die Vorbildrolle der Vorgesetzten sind auf dem Weg zu einer nachhaltigen Präventionskultur im Betrieb von zentraler Bedeutung. Diese Überzeugungsarbeit ist durchaus manchmal auch herausfordernd.
Rahel Büchlin ist Lernende Zeichnerin EFZ / Architektur bei der GAMMA Planung AG, einer der drei eng zusammen arbeitenden Tochterfirmen der GAMMA Holding.
Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz regelmässig zum Thema machen
Im Arbeitsalltag geht es oft hektisch zu. Häufig haben daher Themen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes nicht erste Priorität. Auf der anderen Seite kann ein Regelverstoss für den Betrieb in schwerwiegenden Konsequenzen enden. Neben dem menschlichen Leid kommt es beispielsweise zu Zeitverlust durch die Störung von betrieblichen Abläufen und Umsatzeinbussen durch entgangene Aufträge und Sachschäden. Aber auch das Betriebsklima leidet, wenn eine geschätzte Person ausfällt und nicht selten folgen Schuldgefühle und Reue und man stellt sich die Frage: Warum hat niemand STOPP gesagt?
Daher ist es wichtig, dass die lebenswichtigen Regeln konsequent eingehalten werden. Dies aber nicht, weil es die Vorgesetzten oder die Suva wollen, sondern weil alle im Betrieb überzeugt davon sind, dass diese Regeln die Gesundheit schützen. Aber genau hier liegt der Knackpunkt. Was führt dazu, dass sich Mitarbeitende aus eigenem Antrieb an die lebenswichtigen Regeln halten und sich darüber hinaus auch proaktiv für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit einsetzen?
Unter anderem hilft es, wenn die Person die Gefahren kennt und weiss, wie sie sich sicher verhält und wie gefährlich die Situation für sie persönlich und andere werden kann. Diese Erkenntnis und das Wissen über den Nutzen der Einhaltung der lebenswichtigen Regeln bei den Mitarbeitenden zu fördern und diese regelmässig zum Thema zu machen, ist eine der wichtigen Aufgaben eines Betriebes, von Vorgesetzen sowie von Verantwortlichen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes (z.B. SIBE, KOPAS).
Thomas Planzer ist dipl. Bauführer SBA, Lernendenbetreuer sowie Kontaktperson Arbeitssicherheit (KOPAS) bei der GAMMA Bau AG. Er sagt, wie es gelingen kann, Mitarbeitende zu motivieren, neue Verordnungen aus dem Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz umzusetzen.
Die Lücke zwischen Wissen und Handeln schliessen
Liv Hiltbrunner, Arbeits- und Organisationspsychologin, arbeitet bei der Suva als Präventionsspezialistin. Sie unterstützt ihre Kundinnen und Kunden bei der Planung, Durchführung und Evaluation von Präventionsaktivitäten. Laut Liv Hiltbrunner gibt es grundsätzlich drei Wege für Führungspersonen, um die Sicherheit ihrer Mitarbeitenden am Arbeitsplatz zu erhöhen:
«Regeln dienen dazu, unsichere Bedingungen (z.B. fehlender Seitenschutz auf Gerüsten) und unsichere Handlungen (es wird trotzdem auf dem Gerüst weitergearbeitet) zu reduzieren. Werden diese eingehalten, wird die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses gesenkt. Um zu wissen, welche Regeln gelten, muss zuerst ermittelt werden, welchen Gefahren die Mitarbeitenden im Arbeitsalltag ausgesetzt sind (Gefahrenermittlung). Dies ist ein Prozess, der laufend geprüft und wiederholt werden muss.
Sind die Regeln klar und die Vorgesetzen von deren Nutzen überzeugt, ist der zweite Schritt, die Mitarbeitenden zu instruieren. Hier ist wichtig, dass die Geschäftsleitung klare Erwartungen an das Verhalten der Mitarbeitenden formuliert. Besteht Gefahr, heisst es STOPP, Gefahr beheben und erst dann weiterarbeiten. Viel wichtiger als das «Wie» und «Was» ist jedoch das «Warum», also dass man den Nutzen der Regel erklärt. Mitarbeitende müssen sich nach der Instruktion den Gefahren und Folgen eines möglichen Unfalls bewusst sein. Hier darf man ruhig kreativ werden und bspw. zusammen mit Mitarbeitenden eine Simulation durchführen, eine verunfallte Person berichten lassen oder ein Video zeigen, damit die Folgen greifbarer werden.
Rahel Büchlin beim Making-Of des Fotos für das Praxisbeispiel in der Überbauung Turmmatte in Altdorf. Dank sicheren Gerüsten sind schwindelerregende Höhen für sie und ihre Kollegen kein Problem.
Nun kommt die harte Arbeit: Im Anschluss muss regelmässig überprüft werden, ob die Vorgaben und Regeln auch eingehalten werden (Sicherheitsaudit). Denn der tiefste Sicherheitsanspruch des oder der Einzelnen ist das maximale Sicherheitsniveau, welches im Betrieb erreicht werden kann. Dieser Soll-Ist-Abgleich zeigt den Führungspersonen, wo Unklarheiten und Probleme liegen, aber auch, was bereits gut funktioniert. Diese Erkenntnisse müssen im Gesamtbetrieb sichtbar gemacht werden. Daher sollte der Austausch über Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in regelmässigen Sitzungen ein fixes Traktandum sein und die Vorgesetzten ihre Mitarbeitenden bei der Problem- und Lösungsfindung aktiv einbinden.
Kommt es trotz aller Bemühungen zu einem Unfall, ist es wichtig, darüber zu sprechen und daraus zu lernen. Nur so lassen sich Wiederholungen verhindern und Prozesse optimieren. Ein Unfall hat meistens mehrere Ursachen, die unterschiedliche Ebenen betreffen. Bspw. ein Fehlverhalten aufgrund einer unzureichenden Vorbereitung, welche durch mangelndes Vorwissen und somit durch mangelhafte Schulung des oder der Mitarbeitenden entstand. Diese Auslöser müssen ermittelt und die erkannten Ursachen mit wirksamen Massnahmen beseitigt werden (Ereignisabklärung). Daher ist es wichtig, sich nicht mit der erstbesten Antwort zufrieden zu geben, sondern das «Warum» zusammen herauszufinden. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, nicht Schuldzuweisungen zu machen, sondern Verständnis zu signalisieren. Fehler und auch Unfälle können uns allen passieren, dies ist menschlich. Das Wichtige ist, im Gespräch zu signalisieren, dass dieses Ereignis eine Chance zur Verbesserung für alle bietet.»
Liv Hiltbrunner
Präventionsspezialistin Suva
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