Faktoren für eine gesunde Lehre

Frustpotential hoch, Motivation tief

Wie stehen die Chancen auf eine ‘gesunde Lehre’?

 

Er ist Bereichsleiter im Mittelschul- und Berufsbildungsamt der Bildungsdirektion des Kantons Zürich und verantwortlich für den reibungslosen Ablauf der Lehrverhältnisse in seinem Bereich. Insgesamt verantwortet die Bildungsdirektion jährlich rund 45'000 Lehrverhältnisse von der Genehmigung der Lehrverträge bis hin zur Vermittlung bei Problemen zwischen Lernenden und Betrieb. Wir haben Walter Waltenspül gefragt, wie es um die Motivation und die Gesundheit der Lernenden im Kanton Zürich steht und was starke Lehrbetriebe auszeichnet.

 

Herr Waltenspül, was genau sind Aufgaben der Berufsinspektion?

Wir sind insgesamt 22 Berufsinspektorinnen und Berufsinspektoren und haben die Aufsicht über die Lehrverhältnisse des Kantons Zürich. Ich leite die Hälfte dieses Teams, wir erteilen Bildungsbewilligungen für Betriebe, genehmigen die Lehrverträge und begleiten Lehrbetriebe und Lernende u.a. in den Branchen Coiffeure und Coiffeusen, Bauhaupt- und nebengewerbe, Gastronomie, Autoindustrie sowie Gesundheit und Betreuung. 80 Prozent der Ausbildungen gehen problemlos über die Bühne, mit 20 Prozent haben wir Kontakt, das heisst, wir werden bei auftretenden Fragen oder Problemen hinzugezogen.

 
 

Probleme führen oft zu einem Lehrabbruch. Wo liegen die Gründe?

Das ist von Branche zu Branche verschieden. Coiffeur-Betriebe haben eine hohe Auflösungsquote, weil es sich bei den Lehrbetrieben oft um Klein- und Kleinstbetriebe handelt. Der Chef oder die Inhaberin sind gleichzeitig auch die Berufsbildner bzw. Berufsbildnerin. Wenn es zu zwischenmenschlichen Problemen kommt, ist manchmal ein Lehrstellenwechsel die beste Lösung. Die grosse Mehrheit der Lehren werden dann in einem neuen Betrieb erfolgreich beendet. Im Gesundheits- und Betreuungswesen wiederum liegt der Grund häufig am Druck und der Überforderung. Wegen Fachkräftemangel ist in einigen Betrieben zu wenig Personal da, um die Lernenden bei diesen verantwortungsvollen Aufgaben genug zu unterstützen. Wie auch immer die Problematik gelagert ist, wir empfehlen, uns frühzeitig miteinzubeziehen. Wir sind eine neutrale Stelle, können vermitteln und in vielen Fällen das Lehrverhältnis retten. Wir bieten zudem einerseits Betriebs-Coachings an, wo wir uns die Prozesse und mögliche Konfliktherde anschauen, andererseits bieten wir auch Coachings für Lernende an.

 

Wo liegen die grossen Herausforderungen für Jugendliche in der Lehre?

Eine der Herausforderungen ist sicherlich der Umgang mit Druck und (zu) viel Verantwortung in diesem neuen Lebensabschnitt – nicht nur in den Gesundheitsberufen. Die Lernenden stecken in einer herausfordernden Lebensphase, die geprägt ist vom Ende der obligatorischen Schulzeit, der Ablösung von zuhause und dem Einstieg ins Berufsleben. Wir stellen fest, dass die psychischen Belastungen grösser sind als früher. Die Lernenden sind teilweise überfordert mit den langen und auch physisch anstrengenden Arbeitstagen, z.T. sogar mit einer Fünftage-Woche, vollgepackt mit Arbeitsalltag und Berufsschule. Die Überforderung zeigt sich meist dann, wenn es an mehreren Orten gleichzeitig nicht mehr funktioniert, also Probleme mit den Eltern und mit der Freundin oder dem Freund da sind plus Stress bei der Arbeit oder in der Schule vorhanden ist – da reicht die Kraft nicht mehr aus.

 

 

Neben den psychischen Herausforderungen gibt es auch andere Frust-Faktoren - welche?

In den von uns betreuten Branchen haben die Lernenden oft Probleme mit der langen Arbeitszeit, mit der Einteilung beziehungsweise dem Einsatzplan, allenfalls mit ausbildungsfernen Arbeiten. Ein grosser Frust-Faktor ist aber auch das Gefühl, nicht richtig ausgebildet zu werden, zu wenig Feedback zu erhalten und schlecht auf die Abschlussprüfung vorbereitet zu werden.

 

Was zeichnet starke Lehrbetriebe aus, die sich einsetzen für eine ‚gesunde Lehre‘?

Wichtig für eine ‘gesunde Lehre’ ist, den Lernenden regelmässiges Feedback zu geben. Oft wird die Kritikfähigkeit der Lernenden bemängelt, aber es ist auch eine Frage der ausgewogenen Feedback-Kultur. Man sollte regelmässig zusammensitzen, im ersten Lehrjahr gar einmal die Woche. Dabei gilt es, Wertschätzung zu zeigen, auch mal zu loben und nicht nur die Fehler aufzuzeigen. Das Gespräch sollte auf einer – wie ich es nenne - un-emotionalen, also professionellen Ebene geführt werden. Im Gegensatz zum halbjährlichen obligatorischen Bildungsbericht müssen diese Gespräche nicht zwingend protokolliert werden. 

 

Abschliessend die Frage: Wie motiviert man Lernende während der Ausbildung?

Ich würde die Frage umformulieren: Wie verhindert man den Motivations-Verlust der Lernenden? Man sollte der intrinsischen Motivation viel Raum geben, denn viele Lernenden

gehen mit einer positiven Einstellung in die Ausbildung. Diese Motivation gilt es zu unterstützen, dann kommt weniger Frust auf. Weiter hilft eine klare Kommunikation und im Voraus festgelegte Verhaltensregeln. Wie zum Beispiel, was die Pünktlichkeit betrifft. Erwartungen – von beiden Seiten – sollten klar definiert und von allen verstanden und akzeptiert werden, das beugt Missverständnissen vor.

 
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