Wie Céline auch in einer Lebenskrise vom Betrieb unterstützt wurde
Psychische Krankheiten umfassen gemäss der Weltgesundheits-Organisation WHO eine grosse Bandbreite an Problemen. Diese äussern sich in verschiedenen Symptomen, meist in einer Kombination von auffälligen Gedanken, Gefühlen, Verhaltensweisen und zwischenmenschlichen Beziehungen. Jede zweite bis vierte Person ist im Laufe ihres Lebens mindestens einmal psychisch krank. Auslöser einer psychischen Krise oder einer psychischen Erkrankung ist oft eine Belastungssituation wie z.B. der Verlust eines geliebten Menschen, eine lang andauernde Stressphase oder soziale Konflikte. Der Umgang mit psychischer Belastung ist für die betroffene Person, aber auch für ihr berufliches Umfeld eine Herausforderung. Gerade Klein- und Mittelunternehmen haben aber auch Vorteile: Sie sind nah dran, flexibel im Handeln und vielseitig beim Suchen von Lösungen.
Coiffeuse Céline Thiévent hat bereits ihre Lehre bei Aerni «Haar Kleid Bar Spa» in Bern absolviert, ging im Anschluss aber für drei Jahre in andere, kleinere Betriebe arbeiten. Danach kehrte sie zu Aerni Bern zurück, nicht zuletzt, weil sie merkte, dass ein familiäres Arbeitsumfeld nicht nur von der Grösse und der Anzahl Mitarbeitenden abhängt, sondern vielmehr im Spirit und in den Werten des Unternehmens gründet.
Beim Traditions-Betrieb Aerni Bern legt man nicht nur auf die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz grossen Wert, auch die Gesundheitsförderung ist ein Aspekt, der sehr ernst genommen wird. Das merkte Céline in dem Moment, als es ihr aus privaten Gründen psychisch nicht so gut ging und sie in einer solch belastenden Lebenssituation steckte, dass sie krankheitshalber eine Zeit lang ausfiel. Das Verständnis, das ihr von Seiten der Vorgesetzen entgegengebracht wurde, gab ihr Sicherheit und das Gefühl, gut aufgehoben zu sein. Sie hatte zu jeder Zeit die Gewissheit, dass ihr Arbeitgeber hinter ihr steht. Die Auszeit hat ihr geholfen, ihre Krise zu verarbeiten und sich wieder vollständig zu erholen und gesund zu werden.
Gut gepflegt innen und aussen
Als «familiär» im positiven Sinne wird ein Unternehmen oder ein Team oft dann bezeichnet, wenn nicht nur Wert auf ein gutes Image gegenüber der Kundschaft, sondern auch auf eine gute und vertrauensvolle Betriebs- oder Teamkultur gelegt wird. Dazu gehören Elemente wie eine konstruktive Feedback-Kultur, eine offene Kommunikation über Stresssituationen, das Anerkennen von Stärken und Schwächen, das Respektieren von Grenzen und eine generelle Gesprächsbereitschaft von allen Seiten. Oft wird auch davon gesprochen, dass im Team eine «psychologische Sicherheit» vorhanden ist (praktische Tipps zur Förderung von psychologischer Sicherheit siehe Blog Xpert Center).
KMU haben im Umgang mit psychischen Belastungen sowohl spezifische Vorteile als auch Herausforderungen: Durch die Nähe in einem kleineren Betrieb ist das Verantwortungsgefühl hoch, man kennt sich gut und Verhaltensänderungen werden schnell bemerkt. Dies hilft, um Belastungen frühzeitig zu erkennen und darauf reagieren zu können. Anpassungen am Arbeitsplatz oder an den Arbeitsaufgaben können aufgrund der kurzen Entscheidungswege in einem KMU oft flexibel und rasch umgesetzt werden, was ebenfalls ein Vorteil ist. Fallen Mitarbeitende aus, ist die Belastung für den Rest des Teams jedoch gross, da die Arbeit nur auf wenige Schultern verteilt werden kann. Eine Herausforderung bei einem familiären Miteinander kann zudem sein, im Umgang mit schwierigen Situationen eine gewisse nötige professionelle Distanz zu wahren. Umso wichtiger ist es, dass sich KMU bei auftauchenden Problemen externe Unterstützung wie z.B. bei einer Fachperson der Taggeldversicherung suchen
Möglichkeiten der Reintegration
Andrea Aldous ist Leiterin Case Management und Betriebliches Gesundheitsmanagement bei XpertCenter, einer Tochtergesellschaft der Schweizerischen Mobiliar, Sie betont: «Wenn Mitarbeitende physisch oder psychisch erkranken, ist das für alle eine belastende Situation. Im Mittelpunkt steht vorab die Genesung und in einem zweiten Schritt die bestmögliche Reintegration. Wir unterstützen Firmen und Mitarbeitende bei diesem Prozess. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist die Kommunikation mit dem Arbeitgeber oft schwierig. Das kann verschiedene Gründe haben: Scham, Stigma, Unwissen oder Überforderung mit der Situation. Eine Case Managerin oder ein Case Manager stellt den Dialog wieder her und schafft Verständnis auf beiden Seiten. Bei längeren Absenzen organisieren wir Round-Tables mit allen Beteiligten. Das heisst, wir setzen uns mit den Vorgesetzten, der erkrankten Person und einer Fachperson der IV zusammen und planen gemeinsam die nächsten Schritte und die Reintegration.
Dabei legen wir grossen Wert auf Nachhaltigkeit – es geht nicht darum, den Mitarbeitenden oder die Mitarbeiterin so schnell wie möglich wieder zu integrieren, sondern um eine hundertprozentige Genesung und einen stressfreien Wiedereinstieg. Bei psychischen Stressfolgeerkrankungen kann davon ausgegangen werden, dass sich die Person über längere Zeit überfordert hat. Man sollte bei der Reintegration also eher bremsen als pushen, um einen nachhaltigen Wiedereinstieg zu erreichen. Grundsätzlich gilt: Wer ein halbes Jahr weg vom Arbeitsplatz war, benötigt in etwa auch so lange, um sich wieder aufzubauen und voll zu integrieren. Zudem zeigen Studien, dass je länger eine Krankschreibung dauert, desto schwieriger ist die Reintegration – da kann ein therapeutischer Arbeitsversuch positiv entgegen wirken.
Für eine nachhaltige Reintegration gibt es verschiedene Möglichkeiten: Wenn es medizinisch möglich ist, sollte eine Teil-Arbeitsfähigkeit erlangt werden. Bei dieser wird die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter zum Beispiel für zwei Nachmittage im Backoffice eingesetzt, anstatt im Laden zu stehen und mit Kunden zu interagieren. Ist die Person vollständig krankgeschrieben, kann die Reintegration mit einem therapeutischen Arbeitsversuch begonnen werden: Die Person darf trotz Krankschreibung zwei, drei Stunden pro Woche arbeiten, ohne Erwartungen seitens des Arbeitgebers, ohne Leistungsdruck. Das Krankentaggeld läuft dabei weiter, aber durch die kleinen Arbeitseinsätze kann der Wiedereinstieg langsam aufgebaut werden.
In jedem Fall gilt: Je schneller das Case Management miteinbezogen wird, desto nachhaltiger ist die Reintegration. Wir haben auch verschiedene Angebote im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement – unter anderem Schulungen für Führungskräfte. Bei Leistungsabfall oder Veränderungen im Verhalten raten wir Führungskräften, Mitarbeitende direkt anzusprechen: Wie geht es dir? Ich mache mir Sorgen um dich... Solche direkten Ansprachen sind oft eine Hemmschwelle in der Schweiz. Gleichzeitig hören wir von krankgeschriebenen Personen oft, niemand hätte bemerkt, dass es ihnen nicht gut geht. Es hat auch mit Wertschätzung zu tun, wenn man nach dem Befinden der Mitarbeitenden fragt. Zudem besteht immer die Möglichkeit, bei der IV für Unterstützung im Rahmen einer Frühintervention anzufragen oder bei der Krankentaggeldversicherung die Möglichkeit eines präventiven Case Managements zu besprechen. Das Case Management fungiert dabei als Drehscheibe, Türöffner und Vermittler für alle Beteiligten.»
Andrea Aldous
Leiterin Case Management und Betriebliches Gesundheitsmanagement
XpertCenter AG – Die Mobiliar
Was tun bei Veränderungen?
Wie können KMU-Verantwortlichen vorgehen, wenn sie unerklärbare oder problematische Veränderungen bei Mitarbeitenden beobachten? Tipps und Tricks aus der Artisana-Studie «Was ist bloss mit Max Muster los?».
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1. Gespräch suchen und Probleme ansprechen
Sprechen Sie das Problem in einem persönlichen Gespräch ohne Zeitdruck an.
- Beschreiben Sie das beobachtete problematische Verhalten und die Folgen für den Betrieb.
- Äussern Sie Ihre Sorge um die Person und fragen Sie nach Gründen im Betrieb.
- Stellen Sie keine Diagnosen.
- Erwarten Sie keine Einsicht und lassen Sie allfällige Widersprüche so stehen.
- Äussern Sie klar Ihre Erwartungen darüber, was sich ändern soll.
- Bieten Sie Unterstützung an und besprechen Sie mögliche Lösungswege.
- Vereinbaren Sie einen weiteren Gesprächstermin.
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2. Arbeitssituation anpassen und Massnahmen unterstützen
Unter Umständen sind zusätzliche Anpassungen der Arbeitssituation sinnvoll.
- Reduktion von Arbeitsmenge oder Arbeitszeit
- Abgabe von Verantwortung
- Anpassung von Arbeitsort oder Arbeitsabläufen
- Stärkung von Wissen und Können durch Schulung
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3. Externe Unterstützung beiziehen
Falls sich die Situation nach Gesprächen und Arbeitsanpassungen nicht oder nur ungenügend verbessert: Empfehlen Sie der Person, externe Unterstützung beizuziehen, oder lassen Sie sich selbst beraten. Warten Sie damit nicht zu lange und reagieren Sie lieber früher als später. Es gibt nicht «die» ideale Anlaufstelle und manchmal ist mehr als ein Anruf nötig.
- Hausarzt oder Psychotherapeut
- IV-Beraterin oder Case Manager der Taggeldversicherung
- Branchen- oder Gewerbeverband
- Coach oder Beraterin einer spezialisierten Firma
- Kantonale Fachstelle oder Arbeitsinspektor